Rezension

Drift von Joshua Tree & Ralph Edenhofer

★★★★★ 5/5

Rezension von Steven Lee Anderson · 05.11.2025

Zwei Schiffe, ein Signal – und ein tiefer Blick in die Finsternis

Mit Drift liefern Joshua Tree und Ralph Edenhofer den Auftakt einer packenden Science-Fiction-Dilogie, die weit mehr ist als eine klassische Weltraumgeschichte. Zwei Schiffe brechen auf, um ein rätselhaftes Signal aus den Tiefen des Alls zu untersuchen. Jahrhunderte später erwachen ihre Crews – und müssen erkennen, dass sie nicht nur um das Überleben ihrer Mission kämpfen, sondern auch um die Wahrheit hinter dem, was sie geweckt hat. Was als Expedition beginnt, wird zu einem psychologischen Überlebenskampf zwischen Vertrauen, Verrat und der Frage, was Menschlichkeit im Angesicht der Hoffnungslosigkeit bedeutet.

Zwischen den Sternen – und zwischen den Fronten

Im 23. Jahrhundert stehen sich die Vereinten Nationen und das Konsortium der Megakonzerne in einem erbitterten Kalten Krieg gegenüber. Als auf Ganymed ein fremdes Signal entdeckt wird, rüsten beide Machtblöcke Expeditionsschiffe aus: die Erebus und die Terror. Entfernung zum Ziel: 10,5 Lichtjahre. Reisedauer: 374 Jahre.

Zwei Jahrhunderte nach dem Start erwachen Marigua James auf der Terror und Sarit Mendoza auf der Erebus. Beide müssen feststellen, dass etwas nicht stimmt. Der Verdacht auf eine Intrige fällt auf das jeweils andere Schiff. Die wechselnden Perspektiven auf beiden Schiffen lassen den Konflikt spürbar werden: militärische Strenge hier, wachsende Verzweiflung dort. So entstehen zwei Erzählstränge, die sich gegenseitig spiegeln – bis sie auf unheilvolle Weise aufeinander zulaufen.

Stimmen aus der Dunkelheit

Das Hörbuch nutzt diesen Aufbau meisterhaft: Brigitte Carlsen und Omid-Paul Eftekhari lesen abwechselnd die Kapitel und geben den Schiffen dadurch eine eigene Stimme. Eftekhari fängt James’ innere Zerrissenheit und die beklemmende Atmosphäre auf der Terror ein, während Carlsen Mendoza’ analytische Ruhe und das Misstrauen auf der Erebus präzise greifbar macht. Diese akustische Zweiteilung ist kein bloßer Gimmick, sondern verstärkt den erzählerischen Kontrast – und lässt die Hörer mit jeder Minute tiefer in das moralische Vakuum zwischen den Sternen sinken.

Sprachliche Stärke und erzählerische Präzision

Was mich besonders überzeugt hat, ist die Sprache. Joshua Tree und Ralph Edenhofer schreiben mit einer Souveränität, die selten geworden ist – präzise, bildhaft, ohne je in Pathos zu verfallen. Jeder Satz hat Gewicht, jede Szene wird vor dem inneren Auge sofort lebendig. Gerade Joshua Tree zählt sowieso zu meinen Lieblingsautoren: Er hat dieses seltene Gespür für Timing und Atmosphäre. Von Ralph Edenhofer hatte ich bislang noch nichts gelesen, doch nach Drift steht fest, dass sich das schnell ändern wird.

Fazit

Drift ist fesselnde, literarisch dichte Science Fiction – getragen von starken Figuren, sprachlicher Eleganz und zwei Stimmen, die den Konflikt zwischen Pflicht und Menschlichkeit zum Leben erwecken. Wer intelligente Weltraumgeschichten liebt, die sich langsam entfalten, um dann mit voller Wucht zu treffen, sollte hier unbedingt reinhören.

Ich selbst greife selten zu Hörbüchern – und auch diesmal wurde mir wieder klar, dass mir das eigene Lesen doch näher liegt. Aber für dieses Werk war das Hörerlebnis die richtige Entscheidung. Drift beweist, dass gute Sprache selbst im endlosen Dunkel nicht verloren geht.

⭐️⭐️⭐️⭐️⭐️ (5/5)

Daten zum Buch

Erscheinungsdatum1. März 2024
Umfang11 Std. 44 Min.
ISBN9783964432919
Verlagdp audiobooks
Cover: Drift
Cover: Drift